Berufslexikon Spezial: Demografischer Wandel: Der Arbeitsmarkt steht Kopf – welche Berufe sind gefragt?

Viele Unternehmen suchen derzeit MitarbeiterInnen – auf allen Ebenen, von der Hilfskraft bis zur Akademikerin. Der Fachkräfte- und Arbeitskräftebedarf wird sich durch die demografische Entwicklung weiter erhöhen: Unsere Gesellschaft wird älter, bei gleichzeitig niedrigen Geburtenraten. Und: Die Babyboomer gehen in Pension.
Ältere Mitarbeiterin markiert mit einem Stift Geschäftsunterlagen im Lager.

© iStock/DGLimages

Wir stellen ein! Wir suchen Sie! Beim Innenstadtbummel stellt Frau Emsig fest: Ob Bäckerei, Fahrradwerkstatt oder Design-Shop: So viele Job-Anzeigen in Schaufenstern hat sie schon lange nicht gesehen. Auch ihre Schwiegertochter sucht dringend MitarbeiterInnen. Deshalb springt sie einmal pro Woche ein und arbeitet im Unternehmen mit. Den Zuverdienst zur Pension kann sie gut gebrauchen. Überhaupt jetzt, wo vieles teurer geworden ist und sie ihre Heizung modernisieren will. Auf den Termin für den Heizungstausch musste sie lange warten, denn HeizungstechnikerInnen sind sehr gefragt. Länger als sonst warten muss sie heute auch auf die Straßenbahn, die nun seltener fährt. Auch StraßenbahnfahrerInnen fehlen bei den städtischen Verkehrsbetrieben.

Wichtige Begriffe – einfach erklärt

Fachkräftebedarf

Ein Fachkräftebedarf oder Fachkräftemangel herrscht, wenn auf dem Arbeitsmarkt viele Stellen nicht besetzt werden können, weil es zu wenig Menschen mit den nachgefragten Qualifikationen gibt, also z.B. mit einer bestimmten Berufsausbildung.

Arbeitskräftebedarf

Von einem Arbeitskräftebedarf oder Arbeitskräftemangel spricht man, wenn die Arbeitsnachfrage höher als das Arbeitsangebot ist. Also, wenn mehr Stellen als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen – ganz unabhängig von der Qualifikation.

[Demografischer Wandel

Wenn sich die Zusammensetzung der Bevölkerung – z.B. hinsichtlich Alter und Zuwanderung – dauerhaft ändert, sprechen wir von einem demografischen Wandel. Am Arbeitsmarkt zeigt sich der demografische Wandel z,B., indem weniger junge Menschen ins Berufsleben starten als Ältere mit dem Arbeiten aufhören. Die Zahl der arbeitenden Menschen wird also weniger.

Babyboomer-Effekt

Babyboomer, auch Boomer genannt, sind in Österreich die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre. Hauptsächlich verantwortlich für die hohe Zahl an Neugeborenen in dieser Zeit war der Wiederaufbau und der steigende Wohlstand nach dem Zweiten Weltkrieg. Aktuell und in den nächsten Jahren gehen die Babyboomer in Pension – und hinterlassen z.B. im öffentlichen Dienst eine große Personallücke. Im Unterschied zum langfristigen demografischen Wandel sind die Pensionswellen der Babyboomer ca. im Jahr 2035 wieder vorbei.]

Was sind die Folgen des steigenden Fach- und Arbeitskräftebedarfs?

Eine Pflegerin sucht mit einer älteren Frau gemeinsam eine Schallplatte aus.

© AMS/Chloe Potter

Gibt es am Arbeitsmarkt nicht genügend Fach- und Arbeitskräfte, kann die Wirtschaftsleistung nicht wachsen oder auch nicht gleichbleiben. In der Folge sinkt der gesellschaftliche Wohlstand – und es entstehen Verteilungskonflikte. Ein Beispiel: Gibt es nicht genügend Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte, stehen z.B. weniger Spitalsbetten, OP-Termine oder weniger Pflegeplätze in Seniorenheimen zur Verfügung. Nicht jeder Mensch, der einen Pflegeplatz benötigt, bekommt ihn also gleich. Oder: Nicht dringende Operationen werden auf spätere Termine verschoben.

Bunte, leere Stühle, die mit einem Seil zusammengeschlossen sind, vor einem Restaurant.

© iStock/Herzstaub

Weitere Beispiele: Fehlen Küchen- und Servicefachkräfte in Restaurants, haben Gaststätten kürzer oder an weniger Tagen der Woche geöffnet. Finden Industrie- und Gewerbebetriebe nicht die geeigneten MitarbeiterInnen, können Aufträge nicht angenommen oder nicht fristgerecht abgewickelt werden. Der Umsatz sinkt, gleichzeitig erhöhen Unternehmen z.B. aber die Gehälter, weil die Unternehmen um die wenigen qualifizierten MitarbeiterInnen werben. Um kurzfristig auszugleichen, werden in vielen Unternehmen und Institutionen Überstunden geleistet – ob im Handel, in der Kinderbetreuung oder bei der Polizei.

Was sind die Gründe für den hohen Fach- und Arbeitskräftebedarf?

Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist die Zahl der Berufstätigen gewachsen, insbesondere durch die steigende Erwerbsbeteiligung der Frauen, aber auch durch Zuwanderung. Nun gibt es eine Trendumkehr: In den nächsten 30 Jahren wird die Zahl der Erwerbstätigen – wenn man Österreich gesamt betrachtet – sinken. Der demografische Wandel ist der Hauptgrund für die fehlenden Fach- und Arbeitskräfte: Nicht jedes österreichische Bundesland, nicht jede europäische Region ist gleichermaßen betroffen. – Diskutiert wird über den demografischen Wandel und die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt aber europaweit.

In Österreich kommen – aktuell und in den nächsten Jahren – die Pensionierungen der Babyboomer hinzu, die durch die jüngere Generation nicht ausgeglichen werden können.

[Zudem erfolgte der wirtschaftliche Aufschwungnach einer deutlichen Bremse durch die Corona-Pandemie – stärker als erwartet. Viele Menschen, die in von der Pandemie besonders betroffenen Branchen wie dem Tourismus gearbeitet haben, haben den Beruf gewechselt. Auch ausländische Arbeitskräfte fehlen zum Teil, weil sie nicht wieder nach Österreich zurückgekehrt sind.

Außerdem verschärfen weitere Trends demografische und wirtschaftliche Entwicklungen. Bereits länger besteht ein Trend zur Höherqualifizierung: Junge Menschen sind daher länger in Ausbildung, bevor sie zu arbeiten beginnen.

Die junge Generation hat am Arbeitsmarkt auch einen Wertewandel eingeläutet, denn viele jüngere Menschen wünschen sich: sinnstiftende Jobs, kürzere Arbeitszeiten und ein ausgeglichenes Arbeits- und Privatleben.]

Schwerpunkt: Demografischer Wandel und Gesundheits- und Pflegeberufe

Ein lächelnder Pfleger steht am Fußende des Krankenbettes einer älteren Patientin.

© AMS / Das Medienstudio

In den Bereichen Gesundheit und Pflege zeigen sich die Auswirkungen des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt besonders anschaulich: Die Menschen werden nicht nur älter; sie brauchen auch medizinische Versorgung und Pflege, weil sie erkranken bzw. im Alltag unterstützt werden müssen. Der Bedarf an Pflegekräften, Ärztinnen und Ärzten steigt, was wiederum den bereits bestehenden Fachkräftebedarf verstärkt.

Wussten Sie, dass …

Schwerpunkt: Babyboomer-Effekt und Berufe im öffentlichen Dienst

Eine Lehrerin zeigt einer Schülerin etwas auf einem Laptop-Bildschirm im Klassenzimmer.

© AMS / DoRo Filmproduktion

Von den Pensionierungen der Babyboomer besonders betroffen sind Bereiche, in denen viele ältere ArbeitnehmerInnen ab 55 beschäftigt sind, unter anderem im öffentlichen Dienst und im Verkehrswesen.

In diesen öffentlichen Bereichen wird dringend Personal gesucht:

Lehrberufe im Fokus

Zwei Lehrlinge, ein Bub und ein Mädchen in Gastronomie-Berufskleidung halten Tabletts mit Mehlspeien.

© AMS / DoRo Filmproduktion

Die Lehrausbildung ist besonders wichtig für den Fachkräftenachwuchs – ob im Handel, Tourismus oder Handwerk. Durch den demografischen Wandel gibt es weniger Jugendliche. In den vergangenen Jahren entschieden sich zudem viele für einen schulischen Ausbildungsweg.

Erstmals seit langem gibt es in allen Bundesländern mit Ausnahmen von Wien mehr offene Lehrstellen als Lehrstellensuchende. Und: Die Zahl der Lehrlinge zeigt einen Aufwärtstrend.

Gute Gründe für eine Lehre:

  • Du verdienst dein eigenes Geld bereits während der Ausbildung und bist früh unabhängig.
  • Du hast gute Berufschancen, wenn du eine Lehre in einem gefragten Lehrberuf machst.
  • Du hast die große Wahl aus über 200 Lehrberufen und kannst deinen Interessen folgen.
  • Du kannst später auch deine eigene Chefin, dein eigener Chef werden und eine Firma gründen.
  • Die „Lehre mit Matura“ öffnet auch die Türen zu FHs und Unis.

Das sind die Top 5 der offenen Lehrstellen:

  1. Einzelhandelskaufmann/-frau
  2. Koch/Köchin
  3. Restaurantfachmann/-frau
  4. MetalltechnikerIn, z.B. mit Hauptmodul Maschinenbautechnik
  5. ElektrotechnikerIn, z.B. mit Hauptmodul Energietechnik

4 Lösungsansätze und was es dafür braucht:

  • Möglichkeit 1: Arbeitsstunden von Teilzeit Arbeitenden erhöhen

Besonders Frauen arbeiten oft Teilzeit. Damit Frauen Arbeitsstunden aufstocken können, braucht es passende Möglichkeiten der Kinderbetreuung. Auch flexible Arbeitszeiten sind für Eltern hilfreich, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.

  • Möglichkeit 2: Ältere Menschen arbeiten länger

Das steigende Frauenpensionsantrittsalter wird dafür sorgen, dass Frauen in den kommenden Jahren länger arbeiten. Unabhängig vom Geschlecht sind lebensaltersgerechte Arbeitsplätze wichtig. Auch die Rahmenbedingungen und Anreize, um in der Pension weiterzuarbeiten, müssen für die Menschen stimmen.

  • Möglichkeit 3: Fach- und Arbeitskräfte wandern nach Österreich zu

Für begehrte Hochqualifizierte und qualifizierte Fachkräfte außerhalb der EU gibt es z.B. in sogenannten Mangelberufen bereits Möglichkeiten, in Österreich zu arbeiten. Den Zugang zum Arbeitsmarkt für AsylbewerberInnen zu öffnen, wird aktuell diskutiert. Eine positive Einstellung der Gesellschaft gegenüber den Menschen, die nach Österreich kommen, ist in diesem Zusammenhang wichtig.

  • Möglichkeit 4: Viele Potenziale nutzen

Es gibt Menschen, für die eine Beteiligung am Arbeitsmarkt mit Hürden verbunden ist. Die Beschäftigungsmöglichkeiten z.B. für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderungen zu verbessern, ist daher ein wichtiges Ziel. Auch die Rückkehr von Langzeitarbeitslosen in den Beruf wird gefördert.

Nicht zuletzt werden Unternehmen in Zukunft neue Wege gehen, um ihre Wunsch-MitarbeiterInnen zu rekrutieren und zu halten. Produktivitätssteigerung bei geringerer Arbeitszeit und gleichbleibendem Gehalt? Die 4-Tage-Woche ist eine der neuen Ideen, die bereits von einigen Unternehmen ausprobiert wird.

 

Quellen: 
Arbeitsmarktservice Österreich, Abteilung Arbeitsmarktforschung und Berufsinformation/ABI (Hg): Aktuelle Entwicklung des österreichischen Lehrstellenmarktes, Spezialthema zum österreichischen Arbeitsmarkt. Wien, September 2022.
Arbeitsmarktservice Österreich, Abteilung Arbeitsmarktforschung und Berufsinformation/ABI (Hg.): Mittelfristige Beschäftigungsprognose 2021 bis 2028 - ÖSTERREICH GESAMT, Wien, 2022.
Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) (Hg.): Was lässt sich aus der Altersstruktur von Belegschaften für den Arbeitskräftebedarf der Zukunft ableiten? Eine Altersstrukturanalyse österreichischer Unternehmen (Modul 2). Wien, 2021.
Statistik Austria: Erwerbspersonenprognosen 2021 bis 2080 nach Bundesländern, 20.12.2022.

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