Berufslexikon Spezial: Gamification: Spielerisch arbeiten und lernen
Levels, Challenges, Badges und Leaderboards: Elemente, die wir aus Games kennen, haben Einzug in Lernprozesse, Arbeitsabläufe und Fitnessprogramme gehalten. Gamification heißt dieses gezielte Übertragen von spieltypischen Mechanismen in andere Kontexte. Die Ziele: ein bestimmtes Verhalten fördern und Menschen zum Dranbleiben bewegen, Routineaufgaben attraktiver gestalten und schwierige Herausforderungen spielerisch angehen.
Was ist Gamification?
Gamification is the use of game design elements in non-game contexts.1
S. Deterding (2011)
Die Idee, spielerische Elemente in anderen Zusammenhängen einzusetzen, ist nicht neu. Sie erinnern sich vielleicht an Feedback-Smileys in Ihrer Schulzeit, kennen diverse Sammelpunktesysteme aus dem Handel, haben vielleicht schon einmal einen leistungsbezogenen Bonus oder eine Mitarbeiter-auszeichnung erhalten. Durch die fortschreitende Digitalisierung hat sich das Konzept weiterentwickelt und einen Boost erfahren. Computerspiele liefern narrative und gestalterische Inputs, mithilfe von Smartphones, Apps und Wearables sind Challenges und Ähnliches gut darstell- und trackbar.2
Gamification erscheint aktuell stark technologiebasiert, ist aber aufgrund des transmedialen Charakters von Games nicht auf Digitales beschränkt.3 In Abgrenzung zu vollständigen Games nutzt Gamification nur einzelne Game-Elemente. Auch hinsichtlich des Zwecks gibt es einen wesentlichen Unterschied: Während bei Games der Unterhaltungsfaktor im Vordergrund steht, sind Gamification-Kontexte vorrangig serious, also ernst.4
Typische Spielelemente, die oft auch kombiniert werden, sind:
- Punkte/Points werden als Belohnung für erledigte Aufgaben oder erreichte Fortschritte vergeben und sollen zum Weitermachen motivieren. Sie stellen ein direktes Feedback dar und ermöglichen auch den Vergleich mit anderen.
- Abzeichen/Badges sind sichtbare Auszeichnungen für erreichte Leistungen. Sie haben Abstufungen (z. B. Bronze, Silber, Gold), sind Statussymbole und dienen der sozialen Anerkennung.
- Ranglisten/Leaderboards ermöglichen den Leistungsvergleich von Einzelpersonen oder Teams und sollen den Wettbewerb sowie den Teamgeist fördern.
- Stufen/Levels zeigen den Fortschritt an und haben die Funktion, langfristiges Engagement sicherzustellen.
- Herausforderungen/Challenges (auch quests, missions) strukturieren Aufgaben, an deren Ziel (meist) eine Belohnung wartet.
- Darüber hinaus können narrative Elemente (z. B. Rahmenhandlungen) und Spielcharaktere (z. B. Avatare) zum Einsatz kommen.5
Ob Belohnung, Anerkennung oder Wettbewerb – ein Blick auf die Funktionen dieser Gamification-Elemente zeigt: Hinter dem spielerischen Zugang verbirgt sich die zentrale Frage, was uns antreibt. Was motiviert also Menschen zum Handeln?
Motivationspsychologie und Gamification
Spielelemente können zur Erfüllung psychologischer Grundbedürfnisse beitragen, wie der Forscher M. Sailer in der Studie „Die Wirkung von Gamification auf Motivation und Leistung“ (2016)6 zeigt. Nach der Selbstbestimmungstheorie der Motivation nach Deci und Ryan sind das die Grundbedürfnisse Kompetenz, Autonomie und soziale Eingebundenheit.7 Positive Feedbacks wie Punkte oder Badges bestätigen Kompetenzen. Wahlmöglichkeiten und Individualisierungen befriedigen das Bedürfnis nach Selbstbestimmung, Teamwettbewerbe wiederum stärken die soziale Eingebundenheit.8
Die Selbstbestimmungstheorie liefert also Hinweise darauf, wie sich (intrinsische) Motivation fördern lässt. Wie maximale Motivation erreicht werden kann, erklärt das Flow-Erleben. Der Flow ist ein sehr positiv erlebter Zustand, in dem wir in einer Tätigkeit aufgehen und uns voll auf eine Aufgabe konzentrieren. Der Flow-Theorie von M. Csíkszentmihály zufolge sind dabei die Anforderungen, die die Aufgabe an uns stellt, und unsere Fähigkeiten, um die Aufgabe zu erfüllen, in Balance. Wir sind also weder über- noch unterfordert, empfinden weder Frustration noch Langeweile. Darüber hinaus ist das Ziel klar definiert und das Feedback erfolgt kontinuierlich.9 Mit Game-Elementen können auch Lern- und Arbeitsaufgaben so gestaltet werden, dass sie Flow-Erlebnisse vermitteln, bei denen wir uns auf eine Aufgabe konzentrieren, das Zeitgefühl verlieren und die Welt um uns herum vergessen. Die Tätigkeit selbst wird dann zum Ziel, nicht das Erreichen von Belohnungen oder Anerkennung.
Berufe im Fokus: Gamification in der Arbeitswelt
PsychologInnen: Die Wissenschaft hinter der Motivation
PsychologInnen, die im Bereich der Motivationsforschung arbeiten, befassen sich wissenschaftlich mit Motivationstheorien, mit Belohnungssystemen oder auch mit dem Zusammenwirken von Motivation mit Emotionen. Arbeits- und OrganisationspsychologInnen sowie WirtschaftspsychologInnen sind wiederum im Feld der Angewandten Psychologie tätig. Im Zusammenhang mit Gamification beschäftigen sie sich beispielsweise mit Fragen der Mitarbeitermotivation oder Kundenbindung.
Personalwesen: Von Recruiting über Onboarding bis Weiterbildung
Im Human Ressource Management sind die Einsatzbereiche von Gamification breit: Beispiele sind Click-Flows im Bewerbungsprozess, bei denen sich KandidatInnen spielerisch durch Fragen klicken und diese beantworten.10 Beim Onboarding, also bei der Eingliederung neuer MitarbeiterInnen ins Team, kann Gamification sowohl für die soziale Vernetzung (z. B. zufällig ausgewählte Teammitglieder treffen sich zum Mittagessen und diskutieren bestimmte Themen) als auch für die inhaltliche Vorbereitung (z. B. ein Quiz nach einer Videoschulung absolvieren) genutzt werden.11 Auch für komplexere Schulungen (z. B. Anlagensimulation) oder Weiterbildungen (z. B. Business English) können Game-Elemente Auflockerung bringen.
Marketing: Mit Gamification die Kundenbindung erhöhen
Wie können Unternehmen ihre Zielgruppe nicht nur erreichen, sondern die Kundenbindung steigern? Customer-Relationship-ManagerInnen wissen, wie aus passiven KonsumentInnen aktive Teilnehmende werden. Positive Erlebnisse (z. B. Belohnungen nach gesammelten Punkten, Gewinne nach Wettbewerben, exklusive Angebote auf Basis eines Kundenstatus) bringen KundInnen dazu, sich intensiv und regelmäßig mit einer Marke oder einem Produkt zu beschäftigen. Höheres Engagement führt zu engerer Bindung und in der Folge möglicherweise auch zu höheren Umsätzen.
Industrie: Effizientere Produktion durch Spielmechaniken
Auch in der industriellen Herstellung können Spielelemente zum Einsatz kommen. Ein Beispiel sind Dashboards, die in Echtzeit relevante Produktionskennzahlen anzeigen. Zur Effizienzsteigerung wie auch Teamförderung können ProduktionsmanagerInnen u.a. Fortschritte kontinuierlich anzeigen lassen und ein Punktesystem mit Belohnungsanreizen (z. B. Arbeitszeitverkürzung) implementieren.12 Wobei das System nicht notwendigerweise kompetitiv sein muss, sondern kooperativ sein kann. Das heißt: Gegenseitige Unterstützung bei Problemen oder eingebrachte Verbesserungsvorschläge werden belohnt, Ziele gelten für das ganze Team.13 Auch gamifizierte Feedbacksysteme zur Qualitätsverbesserung oder Sicherheitstrainings sind im industriellen Kontext denkbar.
Gesundheit: Spielerisch fit bleiben
Insbesondere Kinder sind bei redundanten Übungen schnell abgelenkt oder gelangweilt. In der Rehabilitation und Physiotherapie etwa können spielerische Elemente wie Scores dabei helfen, konzentriert bei der Sache zu bleiben und länger durchzuhalten.14 Im Sport- und Fitnessbereich gibt es mittlerweile unzählige Beispiele für Gamification, die die Motivation für Trainingseinheiten erhalten oder steigern sollen: von Schritt-Challenges und virtuellen Fahrradrennen am Ergometer über Badges für bestimmte Leistungen in Outdoor-Communities bis hin zu maßgeschneiderten Workouts und personalisierten Zielen in Fitness-Apps. Auch die betriebliche Gesundheitsförderung setzt zunehmend auf Gamification-Ansätze.
IT und Game-Design: Von der Entwicklung zur Anwendung
Um Gamification in Unternehmenskontexten umzusetzen, sind eine Reihe von Berufen im Hintergrund am Werk. Game DesignerInnen entwickeln z. B. die Spielmechaniken, App-DeveloperInnen integrieren die Spielelemente in Anwendungen, UX/UI-DesignerInnen entwickeln und gestalten die Benutzeroberflächen, IT-Consultants beraten zu Einsatzmöglichkeiten und IT-ProjektmanagerInnen koordinieren das gesamte Gamification-Projekt.
Grenzen und Kritik
Gamification kann ein innovatives Tool sein, um MitarbeiterInnen zu motivieren, Weiterbildungen aufzulockern oder die Produktivität spielerisch zu steigern. Die positiven Effekte stellen sich allerdings nicht automatisch ein. Studien „zur Dark Side of Gamification“15 zeigen, dass insbesondere Bestenlisten, Abzeichen und Punkte genau das Gegenteil bewirken können: Demotivation und Desinteresse, das Gefühl von Ausbeutung oder Manipulation. Opt-in/Opt-out, also Freiwilligkeit, ist daher ein wichtiges Prinzip bei der Umsetzung.16
Quellen
1 https://www.researchgate.net/publication/303018696_Gamification_Toward_a_definition (2025-09-09)
2 Vgl. https://www.researchgate.net/publication/303446475_Die_Wirkung_von_Gamification_auf_Motivation_und_Leistung_Empirische_Studien_im_Kontext_manueller_Arbeitsprozesse (2025-09-09) und https://www.bpb.de/themen/kultur/digitale-spiele/504558/gamification-grundbegriffe-chancen-und-risiken/ (2025-09-09)
3 Vgl. https://www.researchgate.net/publication/303018696_Gamification_Toward_a_definition (2025-09-09)
4 In diesem Zusammenhang sei auch auf den Unterschied zwischen Serious Games und Gamification hingewiesen. Bei Serious Games handelt es sich um vollständige Spiele zu Informations-, Lern- oder Schulungszwecken, die auf Konsolen, am Computer oder mobilen Geräten gespielt werden, und ein bestimmtes Lernziel haben. Vgl. https://www.spielarchitekten.de/blog/gamification-und-serious-games/ (2025-09-09)
5 Vgl. https://www.researchgate.net/publication/281095025_GameLog_-_Gamification_in_der_Intralogistik (2025-09-09)
6 Vgl. https://www.researchgate.net/publication/303446475_Die_Wirkung_von_Gamification_auf_Motivation_und_Leistung_Empirische_Studien_im_Kontext_manueller_Arbeitsprozesse (2025-09-09)
7 Vgl. https://www.researchgate.net/publication/303446475_Die_Wirkung_von_Gamification_auf_Motivation_und_Leistung_Empirische_Studien_im_Kontext_manueller_Arbeitsprozesse (2025-09-09)
8 Vgl. https://www.researchgate.net/publication/281095025_GameLog_-_Gamification_in_der_Intralogistik (2025-09-09)
9 Vgl. https://www.researchgate.net/publication/372024104_Gamiflow_Towards_a_Flow_Theory-Based_Gamification_Framework_for_Learning_Scenarios (2025-09-09) und https://wpgs.de/fachtexte/flow-erleben/ (2025-09-09)
10 Vgl. https://recruiting.xing.com/de/glossar/gamification-im-recruiting/ (2025-09-09)
11 Vgl. https://www.haufe.de/hr/magazin/spielerisch-onboarden-wie-geht-das-gamification (2025-09-09)
12 Vgl. https://digitalzentrum-hamburg.de/wp-content/uploads/2023/12/Leitfaden_Gamification.pdf (2025-09-09)
13 Vgl. https://www.centigrade.de/de/blog/industrie-4-0-gamification-in-der-industriellen-fertigung/ (2025-09-09)
14 Vgl. https://www.rehacare.de/de/media-news/emag/business/gamification-rehabilitation-physiotherapie (2025-09-09)
15 Vgl. https://www.researchgate.net/publication/346631919_Ausgespielt_Zu_Risiken_und_Nebenwirkungen_von_Gamification (2025-09-09)
16 Vgl. https://www.bpb.de/themen/kultur/digitale-spiele/504558/gamification-grundbegriffe-chancen-und-risiken (2025-09-09)